Beitrag von Dr. med. Mirriam Prieß, Unternehmenscoach für Konflikt- und Stressmanagement
(31. März 2015) Laut Stressbericht 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fühlt sich mittlerweile jeder fünfte deutsche Beschäftigte im Job überfordert und 43 Prozent der Deutschen beschweren sich über zunehmenden Stress am Arbeitsplatz. Auch die Zahlen scheinen dies zu belegen. Fielen 2004 noch durchschnittlich 4,6 Krankheitstage pro Tausend Versicherte auf die Diagnose Burnout, waren es 2013 schon fast 76 Tage. Doch was ist der Grund dafür, dass sich immer mehr Menschen erschöpfen? Und worauf muss jeder Einzelne von uns achten?
Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass diejenigen, die unter einem Burnout leiden, überlastet sind. Menschen, die ausbrennen, brennen nicht aus, weil sie zum Beispiel 80 Stunden pro Woche arbeiten. Sie brennen aus, weil sie ein Leben führen, was eigentlich ihrem Wesen widerspricht. Sie funktionieren, anstatt zu leben. Man kann also festhalten: Es ist nicht die Quantität, die uns erschöpfen lässt, sondern die fehlende Qualität.
Beziehung als Schlüsselfaktor
Beziehungen spielen eine zentrale Rolle in der Entstehung von Burnout. Dieser Aspekt ist lange Zeit übersehen worden. Menschen, die unter einem Burnout leiden, weisen folgendes Merkmal auf: Sie haben den Dialog zu sich und ihrer Umwelt verloren. Diejenigen, die ausgebrannt sind, besitzen entweder keine sozialen Kontakte mehr oder befinden sich in überwiegend konfliktreichen Beziehungen - und jeder der Betroffenen hat die Beziehung zu sich selbst verloren. Wer aber mit sich nicht in Beziehung steht, der kennt auch sein Maß nicht und hat somit nicht die Möglichkeit, an der richtigen Stelle Ja und an der richtigen Stelle Nein zu sagen.
Dialog als Basis
Grundlage für eine gute Beziehung ist der Dialog. Dieser zeigt, dass man der Welt und dem Leben offen auf Augenhöhe begegnet. Im Dialog zu sein heißt nicht, immer gleicher Meinung zu sein, wohl aber dazu in der Lage zu sein, sich über alles offen auszutauschen. Somit auch die Fähigkeit zu haben, seinem Gegenüber - unabhängig von Position, Status, Alter und Geschlecht - auf Augenhöhe zu begegnen. Letztendlich ist das Wort Dialog bekannt, die wenigsten sind dazu jedoch tatsächlich fähig. Die Fähigkeit des äußeren Dialoges setzt die Fähigkeit zum inneren Dialog voraus. Das heißt: Sein inneres Gleichgewicht gefunden zu haben, zu wissen, was dem eigenen Wesen entspricht und in Anerkennung der äußeren Lebensrealitäten danach zu handeln. Diejenigen, die sich erschöpfen, sind dazu nicht in der Lage.
Gründe für Dialogverlust
Wer im Dialog sein will, muss sich selbst auch in seinen Schwächen auf Augenhöhe begegnen können. Viele Menschen, vor allem auch Führungskräfte, können dies nicht - im Gegenteil. Entweder verurteilen sie sich für ihre Schwächen oder sie verleugnen diese, anstatt einen konstruktiven Umgang damit zu finden.
Jeder ist nur so stark, wie schwach er ist. Je mehr man die Augen vor den eigenen Schwächen verschließt, umso schwächer wird man. Dialogfähigkeit setzt also innere Stärke voraus. Nur wer sich selbst begegnen kann, kann offen für andere Menschen sein. Und je schwächer man ist, umso mehr muss man sich verschließen.
Die eigene Welt als Maßstab nehmen
Menschen, die sich erschöpfen, erschöpfen sich auch daran, dass sie die eigene Welt als Maßstab nehmen. Sie können keine gesunden Kompromisse schließen. Diese Fähigkeit besitzen nur diejenigen, die dazu in der Lage sind, zu unterscheiden, was für sie wesentlich notwendig ist und was vielleicht „schön zu haben wäre". Dies ist nur möglich, wenn man mit sich im Dialog steht. Vielen, die ausbrennen, fehlt die Fähigkeit, gesunde Kompromisse zu schließen. Genauso wenig sind sie dazu in der Lage, an der richtigen Stelle nein zu sagen. Ein zentraler Grund, den Dialog zu verlieren ist auch immer die Angst vor Beziehungsverlust. Menschen, die ausbrennen, weisen ein zentrales Merkmal auf: die Sucht nach Harmonie. Diese ist durch die falsche Überzeugung gekennzeichnet, dass ein eigenes „Nein" zu dem Gegenüber auf dessen Seite zu einem Beziehungsabbruch führt. Anstatt im Dialog auf Augenhöhe sich selbst zu vertreten, ziehen die Betroffenen sich zurück, beginnen sich selbst zu unterdrücken und sich den Umständen zu fügen. Erst wer zu sich selbst klar „Ja" sagt, wird auch dazu in der Lage sein, im außen Nein zu sagen. Und nur wer „sich selbst hat", ist stark genug, „verlassen" zu werden und kann am Ende die Erfahrung machen, dass die Angst vor Beziehungsverlust in den meisten Fällen unbegründet ist.
Grenzen akzeptieren
Doch es gilt nicht nur im Dialog mit dem Umfeld zu sein, sondern auch mit dem Leben. Viele Menschen brennen aus, weil sie nicht akzeptieren wollen, dass das Leben nicht immer gerecht ist. Sie können nicht annehmen, dass nicht alles im Leben möglich ist - auch wenn wir es noch so sehr wollen. Die Fähigkeit dazu ist aber eine grundlegende Voraussetzung für ein gesundes und leistungsstarkes Leben. Dazu gehört auch die Fähigkeit, sich von dem zu verabschieden, was nicht oder nicht mehr möglich ist.
Was können konkret Unternehmen tun?
Für Unternehmen gilt dasselbe Prinzip wie für das „Unternehmen Mensch". Dort, wo der Dialog verloren geht, hält die Erschöpfung Einzug - früher oder später. Nur Manager, die es vermögen, sich selbst zu führen, sind in der Lage, auch andere erfolgreich zu führen und zu motivieren. Führungskräfte können ihre Mitarbeiter nur soweit bringen, wie weit sie selbst sind. Wenn Unternehmen also buchstäblich gesund bleiben wollen, dann haben sie auch für eine gesunde Unternehmenskultur zu sorgen, in der der Dialog auf Augenhöhe ein alltägliches Selbstverständnis ist. Dies setzt nicht nur mündige Mitarbeiter voraus, sondern vor allem auch dialogfähige Führungskräfte. Führungskräfte, die wissen, wer sie selbst sind und das Selbstbewusstsein haben, „über den eigenen Tellerrand" hinweg zu blicken und auf dieser Grundlage ihren Mitarbeitern offen auf Augenhöhe begegnen. Anstatt sich selbst zum Maßstab zu nehmen und die Mitarbeiter durch Grenzenlosigkeit zu erschöpfen, bestimmt der Dialog hier das Miteinander. Auf dieser Basis wird nicht nur das Handeln um die Sache selbstverständlich, sondern auch Leistungskraft, Innovation und Wachstum.
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