Die Deutschen leiden unter einer Wochenend-Neurose

(24. April 2015) Regelmäßig fällt die Republik in den "Weekend Blues": Viele Deutsche finden an freien Tagen keinen Ausweg aus dem Stress der Arbeitswoche. Vor allem zwei Kriterien entscheiden, ob Sie gefährdet sind.

"Das Wochenende ist die große Zeit des Terrors", schreibt "Welt"-Kolumnist Hans Zippert. Recht hat er. Denn nicht nur "Party-Terror, Grill-Terror oder Familien-Terror" fordern ihren Tribut. Es ist auch der Arbeitsstress der Werktage, der am Wochenende ganz besonders brutal zuschlägt. Die Hamburger Kollegen Maennig, Steenbeck und Wilhelm können für Deutschland mit Hilfe sorgfältig ausgeführter Mikrodatenanalysen nachweisen, dass Männer stärker als Frauen und besser Gebildete eher als geringer Qualifizierte von der Sonntagsneurose betroffen sind. Schlimmer noch: Viele hoch gebildete Führungs- und Fachkräfte finden überhaupt keinen Ausweg mehr aus dem werktäglichen Hamsterrad – nicht einmal an Frei- oder Feiertagen. Sie sind im Dauerstress, in einem "Weekend Blues", der das ganze Wochenende vermiest.

Anders als Männer sind Frauen durch den Wochenendterror weniger gestresst. Die Arbeit der kommenden Woche führt bei gebildeten Frauen lediglich sonntags, nicht jedoch samstags zu einer verschlechterten Stimmung. Allerdings sind viele weniger gebildete Frauen am Samstag schlecht gelaunt. Vielleicht ist diese Unzufriedenheit aber weniger der (kommenden) Arbeitswoche geschuldet als dem Fakt, dass weniger hoch gebildete Frauen in der Regel auch in schlechter bezahlten Jobs beschäftigt werden. Das kann dann oft dazu führen, dass sie samstags – wenn sie alleinstehend sind – jene haushaltsnahen Dienstleistungen wie Putzen oder Waschen zusätzlich selber zu bewältigen haben, die besser Verdienende die Woche über durch andere erledigen lassen.


Warnung vor dem "Montagsauto"

Eine Sonntags- oder gar Wochenendneurose kann nicht gut sein – weder für die Betroffenen noch die Wirtschaft. Nicht nur, weil das Nichtabschalten allen biblischen Ermahnungen zuwiderläuft. Auch aus arbeitsmedizinischer Perspektive schadet eine Dauerbelastung der Produktivität und damit den Interessen aller. Denn niemand kann immer unter Hochspannung stehen. Ohne Pausen und arbeitsfreie Zeiten droht früher oder später ein Ausbrennen, schwinden Lust, Leidenschaft, Leistungsfähigkeit. Auch die Warnung vor dem berüchtigten fehlerhaften "Montagsauto" dürfte ihre Berechtigung haben. Sie gilt selbst dann noch, wenn Autos kaum mehr von Menschenhand, sondern Robotern gefertigt werden, bei denen bislang keine wochentags bedingte Neurose nachgewiesen werden konnte, weder sonn- noch feiertags. Denn irgendwo in der Wertschöpfungskette bleiben Menschen montags immer eingebunden. So haben die britischen Forscher Abu Bakar, Siganos und Vagenas-Nanos in einer 2014 veröffentlichten Untersuchung festgestellt, dass der Montag nicht nur in der Industrie, sondern auch auf den Finanzmärkten ein "schlechter" Tag sei. Montags seien Anleger pessimistischer und entsprechend zurückhaltender beim Investieren.


Gestresst am Monatsende

Schließlich gibt es eine ganze Reihe anderer Stimmungsschwankungen, die durch den Kalender und den Monats- oder Jahresrhythmus mitverursacht werden. So sind Geringverdiener in Deutschland gegen Monatsende hin gestresst, wenn das Geld in der Haushaltskasse knapp wird – ein Effekt, der Besserverdienenden erspart bleibt. Und in Skandinavien fühlen sich die Menschen in der dunklen Jahreszeit dramatisch viel unglücklicher als im Sommer.
Besteht des Wochenendterrors wegen (politischer) Handlungsbedarf? Ja, wenn auch nicht in Form neuer Gesetze oder zusätzlicher Regulierungen. Aber Unternehmen wären im eigenen Interesse gut beraten, offensiv und aktiv gegen die Sonntagsneurose bei den Führungs- und Fachkräften vorzugehen. Menschen brauchen Auszeiten, um sich zu erholen und ein immer länger werdendes (Arbeits-)Leben erfolgreich, zufrieden und glücklich bewältigen zu können.

Im Zeitalter der demografischen Schrumpfung und Alterung, in dem gebildete, hoch motivierte, leistungswillige und -fähige Mitarbeiter zum Schlüsselfaktor für den betrieblichen Erfolg werden und die Lebensarbeitszeit steigen sollte und nicht fallen darf, ist ein Burn-out nicht nur ein persönliches Desaster.

Es ist eine (sozio-)ökonomische Katastrophe, die allen schadet: den Betroffenen, den Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt. Deshalb lohnt es sich, auf allen Ebenen und zu allen Zeiten dagegen anzukämpfen – nicht nur sonntags oder am Wochenende, wenn auch da ganz besonders.

http://www.welt.de/wirtschaft/article139965750/Die-Deutschen-leiden-unter-einer-Wochenend-Neurose.html

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